Lehnstedt

Ein kleiner Auszug aus der Chronik


Verfasser: Heinrich Prigge, Schullehrer in Lehnstedt von 1918 – 1960

Verfasst um das Jahr 1950

weiterer Autor: Heinrich Ficken

„So liegt still und einsam ein uraltes Steinhaus bei dem Dorfe Lehnstedt auf weiter Heide; fern von dem geschäftigen Treiben der Menschen ragt es aus vielleicht mehrtausendjähriger Vergangenheit noch in die Gegenwart herein, und nur selten wird es in seiner anspruchslosen Altehrwürdigkeit von Forschern und Neugierigen besucht. Ein zweites Steinhaus befindet sich mitten in demselben Dorfe. Umtummelt von der spielenden Dorfjugend, umlärmt von arbeitenden Menschen, umfahren von Fuhrwerken und umtrieben von Vieh, liegt es dennoch unbeachtet als ein stummer Steinhaufen da, schon geborsten, halb zerstört und zum Teil auseinandergezerrt. Und dennoch erzählt auch dieses Denkmal, wenn man nur seiner redelosen Sprache lauschen will, von der Kraft unserer Vorfahren.“

So schreibt Heinrich Schriefer auf Seite 15 seines Buches „Hagen und Stotel“.

Wer aufmerksam durch die Lehnstedter Feldmark geht, dem werden alte Wasserläufe auffallen, die heute fast alle nur noch kleine Rinnsale führen oder schon ganz versiegt sind. Fangen wir an und zählen sie von Norden her auf. Der erste läuft durch Neuenhausen hinter Schumachers und Brünjes hin. Der nächste kommt von der Berglog, fließt durch den Dahl, schlängelt sich über das Rittergut und vereinigt sich im Moor mit dem dritten Wasserlauf, mit dem Kuhfleth. Der hat jetzt seinen Anfang beim Schafdamm und im norderen Düngel, rieselt durchs Togmoor und den Voord an der Wurth vorbei, nimmt dann bald den zweiten Lauf auf und fließt in einem großen Bogen durchs Moor. Der vierte Wasserlauf kommt aus dem Düngel und endigt hinter den Fischerteichen im Kuhlmoor. All diesen Bachläufen sieht man an, daß sie einmal viel mehr Wasser geführt haben. Es sind zwar nur kurze Strecken, aber das Bett ist immer weit, gewaltige Wassermassen sind einmal in ihnen einem großen Flusse zugeeilt. Wann war dies ? Jahrtausende sind seitdem schon vergangen. Da aber in jener Zeit auch der Boden gebildet wurde, der den Bewohnern unseres Dorfes heute noch Brot gibt, wollen wir am Anfang unserer Chronik kurz auf diese gewaltige, uns heute schon so fern liegende Zeit eingehen.

Vor vielen Jahrtausenden schob sich eine riesige Eismasse, es war mehr ein Eismeer von vielen hundert Metern Dicke, von Skandinavien über Dänemark nach Norddeutschland vor. Ein Eisgebirge stand einmal hier, wie es jetzt noch über Grönland liegt, es drang vor bis an den Harz und das Erzgebirge. Wärmere Zeiten kamen, die Eismassen schmolzen und tauten auf. Unsere Heimat wurde frei. Aber wieder brach die Kälte ein, wieder schob sich das Eis vor. Viermal stand das Eisgebirge hier, bis es schließlich ganz zurückgedrängt wurde. Jahrzehntausende stand Nordeuropa im Banne des Eises, das war die Eiszeit.

Aber nicht nur Eis wurde nach hier geschleppt, sondern riesige Erd- und Steinmassen wurden von dem gewaltigen Eisblock mit nach hier verfrachtet. Beim Abschmelzen des Eisgebirges blieben dann Steine, Erde und Geröll liegen und erhöhten den Boden hier um 100 bis 200 Meter. Von den ungeheuren Wassermassen des abgeschmolzenen Eises wurden dann Erde und Steine durcheinander gestrudelt, wuschen das Geröll aus und trennten Sand von Lehm und Ton, wie es uns die Bodenarten unserer Feldmark zeigen. In jeder Sandkuhle erkennen wir, wie das Wasser den Sand übereinandergespült hat. Am Eisrande entlang führten Riesenströme, die Urströme, das Wasser ins Meer. Der Rest des südlichen Urstromes ist die Weser, ein Teil seines weiten Bettes ist unser Moorgebiet. Und in ihn hinein ergoß sich das Wasser des hier abschmelzenden Eisberges durch die Wasserläufe, die am Anfang dieses Abschnittes aufgezählt wurden.

Steine, die vom Eise von Schweden und Norwegen mit nach hier verschleppt wurden, zeigen manchmal die Zeichen dieser weiten Reise. Da die Eismasse ja in Bewegung war, scheuerte mancher Fels auf dem Eise oder auf dem Untergrund entlang und wurde dabei poliert und abgeschliffen. Man redet dann von einem Gletscherschliff. Im Schulgarten habe ich einen solchen Stein im Jahre 1934 aufgestellt. Er zeigt den Gletscherschliff in ganz hervorragender Weise. Dr. Köster vom Morgenstern Museum erklärte den Stein als vorzügliches Anschauungsstück. Ausgegraben ist der Stein bei einer Kultivierungsarbeit auf der Weide des Mehrtens Nr. 10, die zwischen der Lehnstedter Sandkuhle und der Straße nach Uthlede nach Norden zu liegt. .........